Ein Geschenk von Andreas Baum

Ein Geschenk von Andreas Baum
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Ich liebe Geschenke. Nun hat auch "Veras Welt" ein erstes Geschenk zum Geburtstag bekommen. Andreas Baum schenkt uns eine moderne Version von "Hänsel und Gretel".

Das Märchen von Hänsel & Gretel (in heutiger Zeit…)


Ja, hier saß er nun, dick und aufgequollen, die 501er-Levis-Jeanshose zerrissen von seiner Leibesfülle. Endlich wieder „at home“, endlich zu Hause. Gezwungen durch nicht vorhanden sein an Piselocken, wurden er und seine Schwester ausgemustert.
Hätte man in Deutschland gelebt – ja, da hätte man überleben können. Aber hier war jeder sich selbst der Nächste. Da waren die Alten dann eines Tages vor die Frage gestellt worden, sein oder nicht sein - die oder wir.
„Kindeeeeer - lein, Hänsel, Gretel,“ rief die Mutter, „wir machen einen Ausflug in den nahen Auenwald. Mit Picknick und allem, was dazugehört.“ Ja, damals hatte er schon so eine Ahnung, von wegen Survival-Tour, sind doch keine Nehberg´s. Entsorgen wollten die uns in diesem Feuchtbiotop. Aber denkste, er hatte vorgesorgt – und packte eine Masse von Kieselsteinen in seinen Alex-Rucksack. Es hatte doch etwas Gutes, wenn man nicht immer alles gleich aufräumte.

Erst einmal in der der Botanik angekommen, kieselte er sofort die Steine als Weg auf den grünen Teppich der Natur. So wollte er ohne nachzudenken aus dieser stromlosen Wirklichkeit wieder herausschlürfen. Ihre Bestimmer hatten sich eh schon abgesetzt.
Sie kamen dann, anders als vorgesehen, nach „nur 48 Stunden“ wieder am Absender an. Die Alten flippten aus, von wegen „good bye“. Er nahm als Gruß seine schwarze Sonnenbrille ab, die übrigens herrlich zu seinen Lederklamotten passte und zitierte Schwarzeneggers: „I´ ll be back.“
Beim zweiten Versuch sie auszumustern, steckte er sich Mütterleins leinsamgeschrottetes Brot ein. War ja klar, mit der Spur würde selbst ein Bruce Willis wieder aus dem grünen Irrgarten hinaus finden. Doch nicht nur uns Vati stand auf diese harte Krume, auch die Waldbewohner. Nicht ein Krumen war mehr zu finden. Als er das bemerkte, hatten sich auch ihre Erzeuger von dannen gemacht.
Das bedeutete, die Hacken in die Hand zu nehmen – denn den Porsche hatten seine „Erziehungsberechtigten“ schon längst verpfändet.

So bannich viel Grünzeug ging ihnen mächtig auf den Zeiger – da konnten sie nicht lange drin abhängen. Und als dann Gretels Gucci-Hiheels auch noch abbrachen, war voll die Kacke am Dampfen. „Die spinnen, die Alten,“ fluchte Gretel, „ hätten die uns nicht woanders rausschmeißen können, etwa am Sunset-Boulevard. Aber nein, es musste ja wohl unbedingt diese Einöde sein. Dazu kommt auch noch dieser Gestank, riecht weder nach Lagerfeld noch nach Cacharel. Ganz zu schweigen von diesem nervigen Gezwitscher und Gezirpe. Können die hier nicht mal ´nen ander´n Sound auflegen, Madonna oder so – da wird man ja ganz irre.“

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Er schwieg, dachte er doch andauernd an seinen ehemaligen MP3-Player mit Rammsteingedröhne. Außerdem vermisste er sein Smartphone. Damit hätte er sofort eine anständige Satellitenpeilung hingekriegt. So schlichen sie vor sich hin wie Sträflinge in Ketten, halb blind vom ewigen Grün. Kurz, bevor sie sich zur ewigen Ruhe betten wollten, erblindeten sie, getroffen von einem Scheinwerferlicht. Er dachte, das war´s, jetzt geben sie den Löffel ab - dass ist der Strahl, auf den jeder am Ende drauf zu latschen musste. Im Endeffekt taten sie das dann auch; die humpelnde, völlig benebelte Gretel und er, der immer coole Hänsele.
In Erwartung einer Glaubenshütte mit Engelsgequatsche entlud sich diese Location aber als Almöihütte mit Neonreklame. Hätte nur noch Dj Ötzi gefehlt. Aber stattdessen machte eine abgefahrene, grünpickelige, alte Tussi ihre Ansage und beamte sie hinein. Diese Schwiegermutter von Frankenstein nutzte ihr Uncool-Sein völlig aus und lockte ihn sofort in einen Raubtierkäfig. Damals dachte er noch, die steht auf Sado-Maso. Aber was dann kam, war weitaus schlimmer! Denn Gretel musste kochen. Das war die Hölle!

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Dazu kam dann noch dieses Gequatsche vom Saubermachen und Putzen. Ja, meinte die denn, Gretel war Tante Tilli oder der weiße Riese. Mit der Zeit wurde er immer fetter und fetter, platzte aus allen Nähten. Das freute die alte Schreckschraube, weil die ihn auffuttern wollte. Absolut der Kannibale, die Alte! Schuld aber hatte Gretel durch Nichtvorhandensein an Ahnung. Die Herstellung einer anständigen Mahlzeit geriet jedes Mal zum Fiasko. Also knallte sie Fastfood auf den Tisch. Pommes, Burger, lauter fritierte Sachen - und immer Spiegeleier a la Beimer– das ganze Lindenstraßenprogramm.
Die Scheintote hatte aber alles unter Kontrolle, sogar ihn. Checkte die doch immer an seinem wichtigsten Nintendo-Finger ab, ob er „ready“ zum „Verspachteln“ war. Das ging ihm völlig auf´n Keks. Deshalb zeigte er ihr immer den weiß gegerbten Knochen eines ehemals gackernden Geflügelsauriers, den er im Müll seiner Behausung fand.
Die Unschöne raffte das gar nicht – wurde immer düsterer und faselte was von alten Zeiten und Benimm und anständige Kinder und so.

Bloggeburtstag Veras Welt
Eines Tages, wie aus heiterem Himmel, passierte es dann. Gretel, vom vielen Saubermachen schon faltige Hände, brach ihren Lieblingsfingernagel ab. Das war echt zuviel für die. Wie „Miss Undercover“ griff sie sich die Gewitterhexe und legte die betagte Fregatte mit einem Schwinger flach auf den Boden. Das hätte er ihr nie zugetraut. Die dachte sich wohl auch, „wie du mir, Sodomie“. Ehe dieser Altvogel noch was raffen konnte, steckte Gretel sie in die Sonderausführung einer Samsung-Mikrowelle und drehte die Einstellung voll auf 100 Prozent.
„Mann Jungs, ich sage euch, das hat einen Knall gegeben. Dagegen ist der Schwarzenegger-Terminator ein Windelpupser.“
Aber Gretel checkte sofort die Lage ab und befreite ihn aus dieser langen Eisenzeit. Sie starteten sofort eine Hausdurchsuchung. Dabei fand sich jede Menge Kies und Blinkzeug, das sich ideal auf dem Schwarzmarkt verhökern ließ. Dank des Pc´s der Ehemaligen konnten sie ihren Aufenthaltsort lokalisieren und sich heimwärts begeben. Nachdem sich Gretel mit dem alten Golf des Mikrowellen-Opfers öfters verfahren hatte, erreichten sie ihren ehemaligen Stützpunkt. Ihre schwererziehbaren Eltern waren voll happy, nachdem sie ihnen ihre Devisen gezeigt hatten. Jetzt durften sie auch wieder zu Hause abhängen.

Was lernen wir nun aus dieser Geschichte: Na klar, zockt eure Alten nicht immer so ab in puncto Markensachen – sonst seht ihr bald den Wald vor lauter Bäumen nicht.


Andreas Baum lebt und arbeitet in Hamburg. Er schreibt Kurzgeschichten und malt Aquarelle. Seit 2003 ist er Mitglied der Schreibwerkstatt „die Schreibstifte“. Zuletzt ist von ihm "Tunnelblick" (Zum 100. Geburtstag des alten Elbtunnels) in Zusammenarbeit mit den Schreibstiften erschienen.

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