Schreiben 5 Kommentare
Jeder, der Geschichten schreibt, hat sicher schon einmal die Aussage gehört »Was die Figur da macht, ist aber nicht realistisch«. Aber kann die Handlung der Figur überhaupt realistisch sein? Schließlich ist die ganze Geschichte im Regelfall nicht real, sondern entstammt der Fantasie des Autors oder der Autorin. Doch warum kommt dann diese Aussage der Leser?
Geschichten können nicht realistisch sein
Wir wissen alle, dass das reale Leben aus sehr viel Routine und Alltag besteht. Würde eine Geschichte also das wirkliche Leben in allen Einzelheiten wiedergeben, wäre sie wahrscheinlich stinklangweilig. Aber dies erwartet letztlich auch niemand. Oder möchte man, dass James Bond bei einer Verfolgungsjagd mit seinem Aston Martin mal kurz an einer Raststätte hält, um auf die Toilette zu gehen? Wäre zwar realistisch, aber wohl kaum unterhaltsam. Dennoch wird das Verhalten von den Personen in den Geschichten – und dabei ist es völlig egal, um welche Art von Geschichten es sich handelt – immer von den Lesern auf seine Plausibilität hin betrachtet.
Realistisch ist, was wir kennen
Um aber zu bewerten, ob eine Handlung plausibel oder eben realistisch ist, braucht man ein Bewertungsschema. Dies bilden wir im Regelfall aus unseren eigenen Erfahrungen. Daraus folgt, dass selbst in den abgedrehtesten Welten, in fernen Universen oder sonst wo sich die Wesen immer nach für Menschen nachvollziehbaren Grundsätzen verhalten. Im Detail bedeutet der eigene Erfahrungshorizont als Maßstab aber auch, dass eine Handlung für den einen realistisch und für den anderen vollkommen unmöglich erscheint. Es ist eben abhängig davon, was die Betrachter schon mal erlebt oder gelernt haben. Es gibt natürlich Schnittmengen bei den Erfahrungen, so dass es auch Handlungen gibt, die von den meisten als realistisch betrachtet werden. Doch sich bei den Geschehnissen innerhalb einer Geschichte nur auf diese Schnittmenge zu beziehen, würde bedeuten, dass die Möglichkeiten sehr begrenzt wären.
Geschichten leben von Extremsituationen
James N. Frey schreibt sinngemäß, dass zu Beginn eines guten Romans, die Hauptfigur aus seinem Leben gekickt wird, und der Roman davon handelt, wie sie sich bemüht, wieder zurück in ihr Leben zu kommen. Eine Grundidee, die ich übrigens in meinem ersten Roman »Kick ins Leben«, sehr wörtlich umgesetzt habe.
Daraus folgt, dass unsere Figur quasi per Definition Extremsituationen durchlebt. Situationen, die kaum ein Mensch selbst erlebt hat. Dennoch soll jeder Leser das Verhalten nachvollziehen können. Dies ist ein Spagat, den jeder Autor und jede Autorin meistern muss.
Wir kennen Extremsituationen zumeist nur aus dem Fernsehen
Ich habe noch nie eine Leiche gefunden. Keine Ahnung, wie ich reagieren würde, wenn dies geschähe. Wenn Frauen im TV auf Leichen stoßen, dann kreischen sie zumeist. Ich glaube nicht, dass ich kreischen würde. Eine Umfrage unter meinen Freundinnen ergab, dass sie wahrscheinlich auch nicht kreischen würden. Als ich also vor der Situation stand, dass meine Hauptfigur Biene Hagen eine Leiche finden sollte, musste mich entscheiden, wie ich sie reagieren lassen wollte. Hätte ich sie Kreischen lassen, wäre es recht wahrscheinlich gewesen, dass dies viele als realistisch und nachvollziehbar empfunden hätte. Obwohl es im Grunde gar nicht so realistisch ist. In »Pseudonyme küsst man nicht« wird die Hauptfigur zu Beginn entführt. Wie verhält man sich da? Es war meine größte Befürchtung, dass die Leserinnen und Leser ihr Verhalten als nicht realistisch empfinden würden. Glücklicherweise ist es nicht so gekommen.
Die einzige Lösung: In seine Figur eintauchen
In beiden Fällen habe ich es gleich gelöst. Ich habe versucht, mich tief in die Figur hineinzuversetzen. Schließlich kenne ich sie ja ganz genau. Ich habe schon viel Zeit mit ihr verbracht, habe mich mit ihr unterhalten und sollte wissen, wie sie denkt und fühlt. Letztlich ist es ja sowieso die Handlung, die eine Figur beschreibt. Treu nach dem Autorengrundsatz »Show, don’t tell« (Zeigen, nicht erzählen) wird sie für den Leser durch Verhalten erfahrbar. Also habe ich sie so agieren lassen, wie es sich für mich richtig anfühlte. Denn eigentlich ist es wie im richtigen Leben. Lernt man einen Menschen kennen, der sich ungewöhnlich verhält, kann man schließlich auch nicht sagen, sein Verhalten sei unrealistisch. Man kann höchstens für sich entscheiden, diesen Menschen zu meiden. Diese Wahl haben Leser auch. Was ich als Autorin natürlich nicht möchte, aber man wird es nie allen recht machen können.
Als tröstlich empfinde ich in solchen Fällen, dass es zumeist die wirklich so passierten Szenen sind, die als unrealistisch kritisiert werden. Was wieder mal beweist, dass das ganze Leben nicht realistisch ist.
Tote singen selten schief
Der neue Fall für Biene Hagen
Du möchtest singen und dann ist die Chorvorsitzende tot. Da bleibt nur eines zu tun: Mörder jagen!
Ein heiterer Krimi für alle, die Cosy Crime mögen.
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Ach ja, die Realität
Liebe Vera,
in ihrer Rezension zu meinem ersten Roman hat eine Journalistin geschrieben, so dämlich wie meine Protagonistin könnte kein normaler Mensch sein. Das sei ja alles an den Haaren herbeigezogen.
Dabei habe ich nur reale und selbst erlebte Szenen beschrieben, das "Schlimmste" dabei allerdings weggelassen.
Das zum Thema Realität …
Lieber Gruß - Renate
Ach ja, die Realität
Liebe Renate,
diese Erfahrung machen viele. Reale Szenen werden oft als unrealistisch kritisiert. Wahrscheinlich ist unsere Vorstellungswelt mittlerweile so vom Fernsehen & Co. beeinflusst, dass wir die realität gar nicht mehr als solche wwahrnehmen.
Herzlichen Gruß,
Vera
Verwechslungsgefahr
Ich kann deine Argumenten nachvollziehen und verstehe gut, dass Menschen nur das als "real" betrachten, was sie kennen.
Aber du beziehst dich in dem Artikel überwiegend auf Situationen - ich dagegen betrachte oft eine Figur als unrealistisch, weil sie Emotionen wechselt oder Dinge erstaunlich schnell verkraftet. Weil sie sich nicht so verhält, wie der Autor sie vermeintlich angelegt hat. Und das ist ein Problem, auf das auch in Schreibratgebern verwiesen wird.
Außerdem gibt es Texte, die in einem authentischen Setting spielen und nicht den Eindurck erwecken, sie müssten mit einer Abweichung auf etwas hinweisen. Wenn dort etwas nicht stimmt, ist das für mich un-real.
Ich denke, man sollte als Autor auch den Satz "Das ist nicht real" hinterfragen - wie jede Kritik.
Verwechslungsgefahr
Hallo Evy,
du hast recht, das Setting der Geschichte spielt schon eine Rolle, wie die Handlung wahrgenommen wird. Die Kritik zu hinterfragen ist aber leider nicht so leicht. Wenn dies im persönlichen Gespräch gesagt bekommt, kann man dies vielleicht vorsichtig versuchen. Wird aber in einer Rezension etwas geäussert, ist es nicht ratsam, nachzuhaken, denn dies wird oft als Kritik an der Kritik verstanden.
Herzlichen Gruß,
Vera
Vollste Zustimmung
Ja, leider wird es das. Obwohl es toll ist - denn es ist wichtig zu wissen, was aus Lesersicht nicht funktioniert hat. Ich würde, wenn ich denjenigen über ne Gruppe kenne oder er in nem sozialen Netzwerk ist, anschreiben. Als Leserin würde ich mich sehr geehrt fühlen :-)
Und ja, den Gedanken "Ich will Kritk haben [3 Sätze später] Aber das stimmt doch alles gar nicht!!!!!!!!" sehr gut :P Aber das ist menschlich. Emotionen verbieten kann schief gehen.