Ein kleines Teilchen

Ein kleines Teilchen
Hoffnung Leben 1 Kommentare


Vor mir gehen zwei Herren die Treppe zur Messe hinauf. Sie tragen beide braune Tweedsakkos und Jeans. Nur die Brauntöne unterscheiden sich leicht. Unter den Armen tragen sie jeweils eine lederne Mappe. Ich kann nur ihre Hinterköpfe sehen, aber an der Lichte und dem Grauton der verbliebenen Haare schätze ich sie auf um die Sechzig. Sie unterhalten sich. Der eine erzählt von dem Werk, an dem er arbeitet. Schon einige Jahre, wie ich dem Gespräch entnehme. Es handelt von … Ja, wenn ich das nur genau verstanden hätte. Ich glaube, es ging um einen Theologen aus dem Mittelalter und seine Gedanken verglichen mit der heutigen Welt. Oder so ähnlich. Es hörte sich auf jeden Fall sehr eloquent an und war für mich Normalsterbliche völlig unverständlich.
Das sind also die Menschen, die auf die Buchmesse gehen. Sollte ich einfache Self-Publisherin es da überhaupt wagen, die heiligen Hallen der Literaten zu betreten?

Nun bin ich schon hier, also schreite ich ehrfürchtig durch die Eingangsschranke und folge dem Strom der Menschen. Ich steuere sofort Halle 3.1 an. Dort soll es eine Self-Publishing-Area geben. Der erste Blick in die Messehalle ist sogleich überwältigend. Überall Bücher. Ich gehe durch einen Gang mit christlichen und muslimischen Verlagen friedlich nebeneinander, passiere einen Verlag mit Literatur über Homosexualität und sehe weitere Bücher zu allen nur denkbaren
Juliane Reichwein von neobooks
Themen an den Bretterwänden der diversen Messestände. Ich habe weder eines dieser Bücher je gesehen, noch einen der Verlagsnamen gehört. Ich komme mir unsäglich klein vor. Ich brauche einen Anlaufpunkt. Also suche ich zuerst nach dem Stand meiner Self-Publishing-Plattform neobooks. Ich finde sie letztlich als kleinen Bereich am Stand der großen Verlagsmutter. Das passt. Immerhin ein erstes Gespräch mit einem Menschen. Ich bin nicht ganz verloren.
Beim weiteren Rundgang komme ich am Stand vom Deutschlandradio vorbei. Eine Sendung mit Sven Regener und Leander Haußmann ist angekündigt. Ich bleibe und es wird recht unterhaltsam. Sven Regener liest einen kurzen Passus aus seinem Buch. Sehr schön. Ein Gedanke traut sich, aufzukommen. Sein Stil ist gar nicht so weit weg von meiner Art zu schreiben. Ist es vermessen, dies zu denken?
Immerhin ist Self-Publishing ein großes Thema. Die verschiedensten Dienstleister präsentieren ihre Angebote und buhlen um die Autoren. Da  bin ich also nicht ganz so falsch. Auch wenn ich manchmal noch zucke, wenn ich mich frech als Autorin bezeichne. Aber Nele Neuhaus sagte in einem Gespräch dann einen schönen Satz: „Wer mit Herzblut ein Buch geschrieben hat, ist ein Autor.“ Wenn sie das sagt.
Meine Lektorin Dorothea Kenneweg

„Hallo Vera“, erklingt es neben mir, und als ich mich umdrehe, steht dort meine Lektorin. Welche schöne Überraschung. Gleich darauf erscheinen mehrere Frauen in witzigen T-Shirts. Und die aufgedruckten Namen verraten mir, dass ich sie kenne. Es sind liebe Autorinnenkolleginnen, mit denen ich mich schon länger auf Facebook & Co. austausche.
Andi Biel und Sina Müller

Plötzlich bin ich gar nicht mehr so fremd hier. Nein, ich bin eine Autorin, die ihre Lektorin und Kolleginnen auf der Buchmesse trifft. Wer hätte das gedacht? Später treffe ich noch Astrid Korten, erfolgreiche Krimiautorin, am Stand ihres Verlags. Wir gehen einen Kaffee trinken und unterhalten uns über unsere Pläne. Zwei Autorinnen unter sich. Vielleicht bin ich ja doch ein kleines Teilchen in dieser Welt.
Als ich mich wieder auf dem Weg zur U-Bahn mache, reicht mir ein junger Mann eine Beilage der Zeit. Die wichtigsten Neuerscheinungen der Buchmesse werden darin angekündigt. Na gut, da stehe ich wohl noch nicht drin. Aber der Messetag hat mir das Gefühl gegeben, dass es nicht immer so bleiben muss.

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1 Kommentare Ein kleines Teilchen
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  • Autorin

    Sehr schön geschrieben. Ich fühlte Schweiss an meinen Handen, als ich (nein DU) anfänglich durch die Hallen schlenderte.

    Barbara

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