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Man hört derzeit immer öfter von ihnen, den legendären Writer’s Rooms aus den USA, in denen die Stoffe zum Träumen produziert werden – von acht bis zehn Autoren gemeinsam, oft wie am Fließband. Für eine eigenbrötlerische Autorin eine abschreckende und zugleich faszinierende Vorstellung. Denn es sind allesamt großartige TV-Serien wie „Breaking Bad“ oder „Game of Thrones“, die auf diese spezielle Weise erschaffen werden. Aber kann man dieses Prinzip auch hierzulande anwenden? Und noch kühner gedacht: Können auch Romane oder Hörspielserien von der kreativen Zusammenarbeit mehrerer Autoren profitieren?
Ein Gastartikel von Anette Strohmeyer
Zunächst einmal: Was ist überhaupt ein Writer‘s Room?
Kurz gesagt, ist es eine Form des kollektiven Schreibens. Ein Gruppenzwang, der wie eine Droge wirkt. Und diese Droge heißt: Synergie-Effekt. Ein Team von Autoren erarbeitet gemeinsam einen Stoff. Angefangen vom Brainstorming, über Plotten, Figurenentwicklung und Szenenplan bis hin zur Schreibphase. Alles geschieht unter dem magischen Zusammenschluss mehrerer Gehirne.
Aus der einsamen Schreibkammer hinein in den kreativen Mahlstrom des Writer’s Rooms.
Eines schönen Tages klingelte mein Telefon und bescherte mir die Teilnahme an einem Writer‘s Room. Dieser wurde von Ivar Leon Menger ins Leben gerufen, seines Zeichens Autor, Hörspielregisseur und Verleger meiner Ondragon-Reihe. Herr Menger hatte von Audible den Auftrag erhalten, eine zehnteilige Hörspielserie zu entwickeln, und sah sich außerstande, diese zehn Folgen alleine zu schreiben. Also griff er auf das in den USA bewährte Prinzip Writer‘s Room zurück, mit dem er schon bei vorherigen Projekten gute Erfahrungen gesammelt hatte. Das Gleiche galt für mich, und weil Herr Menger wusste, dass ich gut ins Team passte, bekam ich den Job.
Wir waren zu dritt. Raimon Weber und ich als Co-Autoren und Ivar Leon Menger als Headautor. Um uns in die Thematik einzuarbeiten, bekamen wir vorab ein Exposé mit der Projektidee und einigen der bereits gesetzten Figuren zugeschickt, ein Moodboard und einen kurzen Trailer, die uns in das Genre 80er-Jahre-Horrorfilme einstimmen sollten. Wir wussten also, dass die Geschichte 1983 in einem kleinen Küstenstädtchen in Oregon spielen sollte und dass ein Sheriff und eine Gruppe Jugendlicher als Hauptfiguren fungieren sollten. Ein mysteriöses Monster namens „Nachtmahr“ würde den Bösewicht unter all den netten Kleinstadtbewohnern mimen. Arbeitstitel der Serie war „Monster 1983“, und wenn ich ehrlich bin, genügte allein dieser Titel, um mein Kopfkino anzuwerfen.
Meine ersten Erfahrungen mit dem „Gruppenzwang“.
Dann kam das erste Plot-Treffen im Frühjahr 2015, es sollte drei Tage dauern. Ich fuhr also nach Darmstadt, wo Herr Menger uns ein Hotel und einen Raum organisiert hatte, in dem wir viele Stunden zusammen arbeiten sollten. Ich war nervös. Was würde mich erwarten? Ein Vorteil war sicherlich, dass ich die beiden Autoren bereits vorher kennen und schätzen gelernt hatte und somit keine Fremden vor mir saßen. Es reichte also ein kleiner Plausch bei Kaffee und Keksen, um miteinander „warm“ zu werden, bevor wir uns an die Arbeit machten.
Im Anschluss sprachen wir über die Struktur der Serie. Audible wünschte sich zehn Folgen à 60 Minuten Spielzeit, umgerechnet waren das 15-20 Szenen auf ca. 50 Skriptseiten. Wir teilten die einzelnen Folgen unter uns auf, wollten zunächst immer abwechselnd schreiben. Bei der 2. Staffel änderten wir das Vorgehen jedoch auf drei Folgen am Block für jeden Autor, was das Absprachepensum um ein Wesentliches verringerte. Auch das gehörte zu den Erfahrungen, anhand derer wir über drei Staffeln von „Monster 1983“ hinweg einiges am Arbeitsablauf unseres Writer’s Rooms optimieren konnten.
Nach dem administrativen Teil ging es an die eigentliche Story. Zunächst das Setting: Lage und Beschaffenheit der Stadt. Wir hatten auch schnell einen Namen: Harmony Bay. Zeit: Sommer 1983. Angeregt durch das gemeinsame Brainstorming lief die Ideenfindung wie am Schnürchen und schnell stiegen einzelne Figuren aus der kreativen Ursuppe und gesellten sich zum Ensemble der Protagonisten. Was ich bisher nur aus der Theorie kannte, wurde mit einem Mal spürbar: der berühmte Synergie-Effekt. Was für ein unbeschreiblicher Moment, als sich plötzlich die Grenzen auflösten und unsere Hirne als eine Einheit funktionierten! Und das noch bevor wir uns überhaupt auf eine Diskussionskultur geeinigt hatten. Dies sollte normalerweise im Vorfeld geschehen, damit sichergestellt ist, wie im Writer’s Room miteinander kommuniziert wird. Das heißt: Wie äußere ich Kritik und wie meine Ideen? Muss ich Angst haben, dass sich die anderen über meine Einfälle lustig machen?
Meist wird die Diskussionskultur durch den Headautor geprägt, der seine Philosophie des gemeinsamen Arbeitens, die Tonalität und die Regeln in das Team bringt. Hält ein Autor sich nicht an diese Regeln, so muss der Headautor ihn aus den Writer’s Room entfernen und ggf. ersetzen. Das gehört zu den eher unangenehmen Aufgaben des Headautors und deshalb sollte jeder Teilnehmer eine möglichst professionelle Ebene wahren. Am Wichtigsten ist aber, dass der Writer‘s Room ein geschützter Raum ist, in dem jeder Autor seine Ideen ohne Angst vor Spott äußern kann und sei sie noch so verrückt. Nur so schafft man es, von den Standard-Ideen zu den wirklich außergewöhnlichen Geschichten zu gelangen.
Die Geschichte ist König.
Ein direktes Feedback auf meine Ideen zu bekommen, war für mich gewöhnungsbedürftig und ganz anders, als im stillen Kämmerlein tagelang über einer Idee zu brüten. Ein „das gefällt mir nicht“ oder „das passt nicht“ musste ich lernen auszuhalten im Writer’s Room. Aber mir wurde schnell klar, dass nur die stärkste Idee überleben kann. Dabei wird weder der Autor abgelehnt noch sein Können infrage gestellt. Die Kritik ist einfach notwendig, weil sie zum Entwicklungsprozess gehört. Sie eröffnet Raum für Diskussionen, aus denen wiederum die besseren Ideen erwachsen. Und wenn ich weiß, dass ich meinen Mitautoren hundertprozentig vertrauen kann, dann kann ich mich getrost in ihre Arme fallen lassen mit der Gewissheit, dass wir am Ende die bestmögliche Story aus all unseren Ideen herausgefiltert haben.
Entfesselter Irrsinn, aber es braucht einen Kapitän.
Der Headautor sollte in jeder Phase der Entwicklung alles im Blick behalten: Figuren, Szenen, die Autoren. Multitaskig ist das Zauberwort. Dem sollte man gewachsen sein, will man das Projekt nicht gleich gegen die Wand fahren. Man muss seine Autoren anspornen und auch zügeln können, sollten sie in die falsche Richtung galoppieren. Man sollte wissen, wo die Geschichte hingeht, das Chaos entfesseln und auch wieder an die Leine legen, Egos zähmen können. Manchmal arbeitet der Headautor für das Projekt länger und härter als seine Co-Autoren, denn die Texte wollen überarbeitet werden, wollen einen einheitlichen Stil bekommen. Und am Ende muss er das Ergebnis der Produktionsfirma/dem Verlag präsentieren und dafür gradestehen. Ein Job, wie gemacht für jemanden, der aus seinem stillen Kämmerlein entfliehen will. Ivar Leon Menger ist so ein Mensch und hat seinen Posten als Headautor mit viel Hingabe ausgeführt. Wir haben uns jederzeit wohl gefühlt in seinem Writer’s Room. Immer hat er uns das Gefühl der Wertschätzung und der Kollegialität gegeben. Und wir Autoren haben durch die gegenseitige Motivation das Beste aus uns herausgeholt. Von Herrn Menger und den anderen Co-Autoren, mit denen ich bisher zusammenarbeiten durfte, habe ich sehr viel gelernt; für mein eigenes Schreiben und meine Persönlichkeit als Autorin. Es hat meinen Horizont immens erweitert und mich geradezu süchtig gemacht nach dem Arbeiten im Writer’s Room.
Monster 1983 - Hörspiel des Jahres
Foto: Ivar Leon Menger/Audible
Denn Teamwork lohnt sich. Es ist viel einfacher, gemeinsam Ideen zu entwickeln, als mühsam alleine danach zu schürfen. Die Story-Entwicklung geht viel schneller und das Ergebnis ist dank unterschiedlicher Autorentypen eine viel originellere Geschichte. Auch ist es möglich, den Writer’s Room in Deutschland zu etablieren, was die perfekte Zusammenarbeit unseres Monster 1983-Teams und der spätere Erfolg des Hörspiels bewies. Dabei kann der Writer’s Room nicht nur einen positiven Effekt auf die Schöpfung von TV- oder Hörspielserien haben, sondern auch auf Romane und andere literarische Gattungen. Davon bin ich überzeugt.
In diesem Sinne, traut euch raus aus eurem stillen Kämmerlein und lasst euch auf andere Autoren ein. Lasst euch inspirieren. Ihr werdet es nicht bereuen.
Copyright Fotos:
Titelfoto: Anette Strohmeyer
Autorenfoto: Ivar Leon Menger
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