Geld ist nicht das Problem der EU

Geld ist nicht das Problem der EU
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90 Stunden haben die Regierungschefs und -cheffinnen der 27 EU-Staaten verhandelt und das größte Finanzpaket in der EU-Geschichte beschlossen. 1,8 Billionen Euro ist es groß. Eine Zahl, die jenseits meiner Vorstellungskraft liegt. Von EU-Seiten wird dies als Durchbruch gefeiert. Und ja, es ist ein großer und wichtiger Schritt, aber ich bin nach diesem Wochenende dennoch enttäuscht. Und zwar nicht wegen des Geldes.


Worum geht es bei dem Finanzpaket eigentlich?


In den Medien kursieren diese immensen Zahlen. In Facebook-Posts habe ich bereits Umrechnungen auf jeden einzelnen Bürger unseres Landes gesehen mit Ergebnissen, die erschrecken sollen. Doch dies sind Milchmädchenrechnungen. Im  Wesentlichen dreht sich die Diskussion um den sog. Europäischen Aufbauplan (NextGenerationEU), der der europäischen Wirtschaft über die Folgen der Corona-Pandemie hinweghelfen soll. Es handelt sich um 750 Mrd. €, von denen 390 Mrd. € als Zuschüsse an besonders stark betroffene Länder gezahlt werden sollen – die höchsten Zuschüsse sollen Italien, Spanien und Frankreich erhalten – und zusätzlich 360 Mrd. € als Kredite zur Verfügung stehen. Viele der Kritiker, die gegen das angebliche Verschenken von Geldern an Staaten, die schlecht gewirtschaftet haben, wettern, vergessen nur, dass dieses Paket eine grundsätzliche Neuerung darstellt. Denn die Mittel werden nicht einfach von den Mitgliedsstaaten eingezahlt, wie es die o.g. Milchmädchenrechnung vorgaukelt, sondern die EU verschafft sich die Mittel am Finanzmarkt. Die entstandenen Schulden sollen von 2026 bis 2058 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Dazu ist angedacht, dass die EU eigene Einnahmemöglichkeiten schafft. Folgende Ideen gibt es:

  1. CO2-Grenzausgleichssteuer (erhoffte Einnahmen: 5 – 14 Mrd. Euro), die Europäische Kommission will im 1. Halbjahr 2021 hierzu einen Vorschlag vorlegen mit einer geplanten Einführung am 01. Januar 2023.
  2. Digitalsteuer von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Mio. Euro (erhoffte Einnahmen: 1,3 Mrd. Euro), die Europäische Kommission will im 1. Halbjahr 2021 hierzu einen Vorschlag vorlegen mit einer geplanten Einführung am 01. Januar 2023.
  3. Steuern aus dem Emissionshandelssystem, einschließlich evtl. Ausweitung auf See- und Luftverkehr (erhoffte Einnahmen 10 Mrd. Euro).
  4. Steuern für nicht recyclingfähige Plastikprodukte (beginnend am 01. Januar 2021).
  5. Für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (nach 2027) die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Natürlich ist es noch ein langer Weg, bis diese Regelungen realisiert werden, aber er ist richtig und unumgänglich, denn nur so können wir unseren eigenen Wohlstand sichern. Werden diese Schritte umgesetzt, werden die deutschen Bürger gar nicht direkt belastet. Natürlich haften die Mitgliedsstaaten letztendlich für den Betrag, doch ob dies tatsächlich zum Tragen kommt und in welcher Höhe kann man erst in vierzig Jahren sagen. Nein, das Geld beunruhigt mich nicht an diesem Beschluss.

Was ist mit den Grundrechten?


Der für mich viel wesentlichere Teil der Beschlüsse war der Vorschlag der EU-Kommission, zukünftig die Auszahlung von EU-Geldern an der Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedsländer zu binden. Liest man dann das diesbezügliche Ergebnis, macht sich Enttäuschung breit:

Der Europäische Rat hat die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und der Bedeutung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit ausdrücklich unterstrichen, d.h. es soll eine „Konditionalität“ eingeführt werden. Für den Fall, dass gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird, wird die Europäische Kommission in naher Zukunft entsprechende Maßnahmen vorschlagen, die dann mit qualifizierter Mehrheit im Rat verabschiedet werden müssen.

Das klingt nach Politikersprech und ist keineswegs so konkret, wie ich es mir gewünscht hätte. Selbst wenn der Vorschlag der Kommission zufriedenstellend ausfallen sollte, steht dem noch die qualifierte Mehrheit im Weg. Qualifizierte Mehrheit bedeutet, dass 55% der Mitgliedsstaaten (z.Zt. also 15 von 27) und zusätzlich so viele Mitgliedsstaaten zustimmen, wie 65% der EU-Bevölkerung darstellen. (Aktuell ca. 286 Mio. Bürger)
Es ist klar, dass Länder wie Ungarn und Polen, gegen die gerade Rechtsstaatlichkeitsverfahren laufen, auf der Bremse stehen. Doch für mich macht sich die EU unglaubwürdig, wenn sie es nicht schaffen sollte, die Grundrechte auch durchzusetzen. Aktuell wird der Begriff der gemeinsamen Werte sowieso schon sehr gedehnt und wäre dann endgültig Makulatur.

Was genau sind diese gemeinsamen Werte?


Wenn von Werten und Grundrechten in der EU gesprochen wird, dann ist damit im Regelfall die Charta der Grundrechte gemeint, die mit dem Vertrag von Lissabon von allen Mitgliedsstaaten verbindlich angenommen wurde. Doch wie passen diese Grundrechte zu den Entwicklungen in Polen und Ungarn? Meines Erachtens gar nicht. Wenn sich in Polen Städte als schwulen- und lesbenfrei bezeichnen oder in Ungarn Transmenschen das recht auf Personenstandsänderung genommen wird, dann passt dies für mich absolut nicht zu Absatz 1, Artikel 21 der Charta:

Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

Interessanterweise wurden die aktuellen Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen diese beiden Länder nicht etwa wegen dieser Diskriminierungen oder wegen den zunehmenden Einschränkungen der freien Presse in diesen Ländern begonnen, sondern in Fall von Polen wegen der Beeinflussung der Gerichte und bei Ungarn wegen der mangelnden Versorgung von Asylbewerbern.

Nicht das Geld ist entscheidend, die Werte sind es!


Mir ist also ehrlich gesagt nicht so wichtig, ob nun 100 Mrd. € mehr oder weniger als Zuschüsse gezahlt werden oder nicht. Als viel wichtiger erachte ich es, dass es die EU schafft, nicht von gemeinsamen Werten zu reden, sondern diese auch durchzusetzen. Noch bedürfen die Vereinbarungen des Wochenendes der Zustimmung des EU-Parlaments. Erste Äußerungen lassen bereits darauf schließen, dass sich das Parlament mit der Konditionalität bei den EU-Zahlungen noch beschäftigen wird. Ich bin persönlich sehr gespannt, ob das Parlament hier etwas erreichen kann. Wir haben gelernt, dass Entwicklungen auf EU-Ebene immer nur in Trippelschritten vorangehen. Ein Trippelschrittchen wurde gemacht und ich bleibe meinem Optimismus treu. Ich hoffe also weiter, dass weitere Schritte folgen und das Ziel nicht aus den Augen verloren wird.

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