Blaue Vögel Schreiben 11 Kommentare
Foto: Toilet w/
a View von ididj0emama bei Flickr Lizensiert unter Creative Commons Lizenz |
Eine Leserin von Rausgekickt: Blaue Vögel fragte mich letztens, warum nirgends in dem Buch stehen würde, wie Mechthild sich die Kontaktlinsen herausnimmt. Ich antwortete ihr, weil es langweilig wäre. Es stünde auch nirgends, wie sie sich die Zähne putzt oder andere Selbstverständlichkeiten. Genau aus diesem Grund sieht man nämlich in Filmen nie, dass Helden auf die Toilette gehen.
Um den Spannungsbogen einer Geschichte zu halten, muss man als Autorin darauf achten, dass man die Dinge beschreibt, die der Handlung dienen und andere entsprechend weglässt. James N. Frey beschreibt es in seinem Buch "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" mit der Prämisse, an der sich alles Geschriebene messen lassen muss. Passt das Erzählte zur Prämisse, dann ist es gut. Passt es nicht, dann muss es weg.
Ich gebe zu, das schreibt sich leicht. In der Praxis ist es nicht immer einfach. Ich stelle mir beim Schreiben beispielsweise eine Szene immer sehr bildlich vor. Ich sehe, wie meine Figur den Raum betritt, wie sie ihre Jacke über den Stuhl schmeißt, sich umsieht, sich dann vielleicht in einen Sessel setzt und in einer Zeitung blättert. Mich stören Ungereimtheiten, wenn sie sich beispielsweise hinsetzt und ihre Jacke nicht zuvor abgelegt hat. Also neige ich dazu, diese Details zu beschreiben. Das ist schön und realistisch, aber ist es auch spannend? Wenn ich diese Szenen dann im Nachgang lese, fällt mir auf, wie langweilig es ist, und lösche die Details. Dabei ist es nicht immer einfach, dies zu entscheiden. Die gleiche Szene würde nämlich spannend, wenn dem Leser vorher mitgeteilt wurde, dass auf dem Sessel eine Kobra herumkriecht. Allerdings kann man es auch dann noch übertreiben mit den Details. Ewig hält so eine Spannung nämlich nicht vor. Es ist also immer ein Abwägen, wobei ich mehr und mehr die Erfahrung mache, dass es meistens besser ist, diese Alltäglichkeiten zu löschen. Sie vermisst nämlich niemand.
Oder habt ihr euch schon mal gefragt, warum Supermann nie auf die Toilette muss? Wäre doch nicht spannend und sähe mit seiner Strumpfhose auch wirklich komisch aus.
Wenn dann aber eine Figur einer Geschichte auf die Toilette geht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dort etwas Wesentliches geschieht. Mechthild, aus Rausgekickt: Blaue Vögel geht tatsächlich an einer Stelle auf die Toilette. Die, die es schon gelesen haben, wissen, dass etwas geschieht und die, die es noch nicht gelesen haben, werden es sich jetzt denken können.
Jetzt auch zum Hören!
Alle Themen aus meinem Blog und noch viel mehr gibt es ab sofort auch auf die Ohren im neuen Podcast "Die Zwei von der Talkstelle". Gemeinsam mit Tamara Leonhard gibt es alles rund um das Schreiben, Lesen, Leben und was uns sonst noch so einfällt.
Jetzt reinhören!
Mehr Lesestoff
Diese Artikel könnten dich interessieren
Sind Engel immer gute Boten?
Die Adventszeit steht bevor. Nun werden wir sie allerorten sehen, die Weihnachtsengel. »Süß«, werden viele sagen. Oder andere auch genervt die Nase rümpfen. Aber letztlich erwarten alle von Engeln nur...
Zum ArtikelWarum meine Buchtitel nicht funktionieren
Damit wir uns richtig verstehen: ich finde meine Buchtitel toll. Es liegt ein ausgeklügeltes Konzept dahinter und ich persönlich mag es, wenn ein Titel zum Denken anregt. Gedacht war, dass „...
Zum ArtikelGeistesblitz einer Autorin
Zuerst ist der Geistesblitz. Diese eine Idee, aus der man unbedingt eine Geschichte machen muss. Bei mir war es, als auf der Straße plötzlich vor mir ein Traktor einbog und mich zwang, mein Fahrtempo ...
Zum ArtikelJetzt in matt
Meine Bücher werden bei CreateSpace gedruckt. Dies ist ein Tochterunternehmen von Amazon. Diese Firma sitzt in den USA und das merkt man hier und da. Aber es funktioniert ganz gut.
Zum ArtikelDie flotten Bienen
Es gibt ihn wirklich. Den Damenkegelclub, der die Vorlage zu den flotten Bienen in Rausgekickt: Blaue Vögel geliefert hat. Und wie jedes Jahr ging es im Oktober wieder auf Kegeltour. Natürlich im Samb...
Zum Artikel
Nichts ist mehr als alles
Ein sehr interessanter Text!
Er spricht einen Punkt an, um den sich Autoren immer wieder kümmern und für den sie sich erstaunlich oft rechtfertigen müssen: Die Details!
Für meinen Roman "Durch Tod heilbar" habe ich im Zusammenhang mit einer fiktiven Krebstherapie immens viel Aufwand betrieben für die Recherchen. Grund: Die ersten Test-Leser haben mir Löcher in den Bauch gefragt zu Details, die ich nicht beantworten konnte.
Aufgrund der Recherchen kamen an zahlreichen Stellen Ergänzungen und Erläuterung von Einzelheiten hinzu.
Ergebnis: Die meisten Test-Leser und auch das Lektorat bemängelten nun, dass die "Detailverliebtheit" von der eigentlichen Thematik und auch von der Handlung an sich total ablenken würde.
FAZIT:
(Zitat einer guten Freundin aus meiner Schreibwerkstatt): Man will nicht jede Sex-Szene bis ins kleinste Detail miterleben, sondern das Kopfkino will lediglich hinreichend Nahrung.
Es sei denn, bestimmte Details sind für die weitere Handlung wichtig.
Insofern halte ich den blutig-detaillierten Weg der aktuell in vielen Krimis/Thrillern (nicht nur im TV) gegangen wird für kein Qualitätsmerkmal.
WENIGER IST (meist) MEHR!
Nichts ist mehr als alles
Ja Bernd, der Trend, alle Gewalt überdeutlich darzustellen, hat mit Spannung nicht viel zu tun. Man erinnere sich nur an die guten alten Hitchcock-Filme. Da wurde rein gar nichts gezeigt. Nach "Die Vögel" konnte ich sehr lange nicht unter Stromleitungen durchgehen, auf denen Vögel saßen.
Stimme zu!^
Das Problem kenne ich! Einerseits sind Details wichtig für die Stimmung und die Figur, andererseits können sie ablenken. Aber irgendwann weiß man, wieviel gut ist :P
Stimme zu!^
Ja, ich denke, man wird mit der Zeit sensibler und findet beim erneuten Lesen heraus, wo es zu langatmig wird. Dazu gibt es dann ja noch das Lektorat. :-)
Interessantes Thema
Darüber habe ich mir noch nie bewusst Gedanken gemacht, wobei das wirklich ein interessantes Thema ist: Was ist zu viel und was zu wenig?
Ich finde das Zitat von Bernds Freundin beschreibt es wirklich sehr treffend. Ein Buch soll ja auch die Fantasie des Lesers anregen und wenn alles bis ins kleinste Detail "vorgegeben ist", dann arbeitet das Kopfkino des Lesers nicht. Außerdem langweilt es einen natürlich auch, wenn man ünnötig lange Beschreibungen lesen muss und die Geschiche an sich nicht wirklich weiter geht. Nur wirklich wichtige Details sollten auch drine bleiben :)
Die Jacke
Ein paar Gedanken zu der Figur mit der Jacke... Also wenn diese Figur eine wichtige Rolle spielt und ich mich als Leser in diese hineinversetzen soll, dann sind für mich solche Kleinigkeiten wichtig. Denn es macht einen großen Unterschied, ob die Figur die Jacke in die Ecke wirft oder sie ordentlich an die Garderobe hängt. Ohne solche Details bleibt eine Figur für mich weniger greifbar und dann kann ich nicht so gut mit dieser "mitfiebern" - sie bleibt dann eher leblos. Wenn die Details drumherum nicht auf 3 Seiten ausgebreitetsondern nur mit so kurzen Bemerkungen am Rande erwähnt werden, dann ist das aus meiner Sicht nur positiv. Also ich finde die Jacke wichtig!
Die Jacke
Danke für Deine Anmerkung, Simone!
Du hast völlig recht. Ein gewisses Maß an Details muss sein. Andererseits würde es Dich wahrscheinlich nicht interessieren, dass sich die Figur morgens die Zähne putzt. Es sei denn, ihre Art, sich die Zähne zu putzen sagt etwas Besonderes über sie aus. Es ist also immer ein Abwägen.
Witzige Thematik
Eine lustiges Thema welches in diesem Beitrag angesprochen wird. So direkt habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht, aber der Einwand ist berechtigt :D Ich denke aber auch das die Spannung darunter leiden würde und damit auch die Qualität der ganzen Geschichte. Zu viele Details können schnell langweilen, vor allem wen Sie irrelevant sind und nicht aussagend sind wie z.B. der Toilettengang eines Protagonisten :D
Weniger ist mehr
Ich erinnere mich bei diesem Thema immer an Fontanes "Effi Briest". Ich bin einige Male beim Lesen eingeschlafen, denn es hat mich wirklich, wirklich nicht interessiert, wo welcher Stein im Garten lag. Es treibt die Handlung nicht voran. Dann wieder andere fanden es toll, dass man sich alles so detailliert vorstellen konnte.
Aus dieser Schullektüre lernte ich zwei Sachen:
1. Man kann es nicht jedem Leser recht machen
2. Ich würde niemals ein Autor werden wie Fontane.
Sein Konzept der Läuterung fand ich persönlich einfach schrecklich.
Als ich mein eigenes Buch einem Korrektor gab, bemängelte er mein Vorhaben, Fontanes Läuterungsprinzip zu trotzen und ich fühlte mich dazu gezwungen, mich zu rechtfertigen. Im zweiten Moment wusste ich, dass es mir gleichgültig war, dass jemandem meine Beschränkungen auf das Wesentliche missfielen, denn ja, es wird immer Leser geben, denen am Buch etwas missfällt. Leider wird aber kaum ein Leser sagen: "Danke, dass du mir den Toiletengang der Figuren erspart hast."
Einsicht - Langsam und Schwer
Auch wenn ich etwas spät dran bin.. Ein sehr interessanter Text mit vielen verschiedenen Blickwinkeln. Genau aus diesen Gründen ist Schreiben so unglaublich schwer. Vielen Dank für diese Einsichten.
Einsicht - Langsam und Schwer
Auch späte Kommentare sind herzlich willkommen.
1000-Dank,
Vera